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Als Karl-Heinz Krüger am 28. Dezember 1913 in Berlin das Licht der Welt erblickte, war sich die Hebamme sicher, „das dünne, kleine Kerlchen wird es nicht überleben.“ Doch diesbezüglich sollte sie sich gewaltig irren, denn heute feiert der älteste Dilsberger Bürger seinen 100. Geburtstag. Die Beine sind schwach geworden und das Gehör hat nachgelassen. Den Rollstuhl hat er akzeptiert, ein Hörgerät lehnt er jedoch ab und lässt sich die Worte lieber von seiner Frau Evelyne ins Ohr „flüstern“. Der Geist jedoch ist wach geblieben und sein großes Allgemeinwissen gepaart mit einer Portion Schalk blitzt in Gesprächen nach wie vor auf. Vom 1. Lebensjahr an wuchs er in Bremen als Einzelkind auf, besuchte die Oberrealschule und wurde Kaufmann in der Textilbranche. Mit 24 Jahren heiratete er seine erste Frau Irmgard und wurde von der befreundeten Clara Rilke-Westhoff getraut. Neben der Familie mit drei Kindern baute er ein erfolgreiches mittelständiges Unternehmen mit edlen Textilstoffen auf. Er spielte Klavier und machte Musik zusammen mit seinem Schulfreund Hans Joos am Schlagzeug. Als seine Frau starb wohnte er vier Jahre allein, bevor ihm sein Freund, der inzwischen in Neckargemünd lebte, vorschlug in den schönen Odenwald zu kommen. Zunächst wohnte er in Heidelberg und entdeckte auf einem Spaziergang ein Grundstück auf dem Dilsberg in das er sich verliebte, baute ein Haus und fühlte sich von Anfang an wohl. Nach 68 Jahren in Bremen begann ein neues Leben und den Grund nennt er mit verschmitztem Blick: „Da kam dieses Teufelsmädchen und machte mich verrückt.“ Altersmäßig trennt ihn von seiner zweiten Frau mehr als eine Generation, doch menschlich sind sie eins, eine liebevolle Symbiose die sich gegenseitig viel geben. Sie hält Probleme von ihm fern und achtet auf eine gesunde Ernährung, es wird gemütlich gefrühstückt und während sie arbeitet schläft er viel. Am Abend sitzen sie jedoch lange zusammen und diskutieren, manchmal bis 1 Uhr. Heute sagt er: „Du gehst in die Welt und bringst mir ein Stück davon nach Hause.“ Vor 30 Jahren wurde Tochter Ode geboren, mit der ihn eine enge Beziehung verbindet. Auf Spaziergängen trug er stets seine orientalisch, bunte Kopfbedeckung in Form eines Kegelstumpfes, die er seiner Frau ausspannte, weil sie seinen Elbsegler zu konservativ fand. In Bezug auf sein hohes Alter verrät er: „Die Ehe war die Kraft um alt zu werden und meine Frauen sind mein Lebenselixier. Der Jubilar blickt auf eine bewegte Zeitspanne zurück, in der Kaiserzeit geboren erlebte er zwei Weltkriege und die Gefangenschaft in Norwegen, wo er als Übersetzer sowie Bibel-Kalligraph tätig war. Er spricht fünf Sprachen und seine Frau schwärmt: „Er ist gebildet und kreativ, hat starke ästhetische Empfindungen, ist vom Tanz fasziniert und obwohl aus der Kirche ausgetreten ein Christ - ein Mensch der das Licht mag.“ Regelmäßig hat er die „RNZ“ und „Welt“ sowie unzählige Bücher gelesen. Geprägt haben ihn Treffen mit der Künstlerkolonie Worpswede bei gemeinsamen Hauskonzerten und Diskussionsabenden. Seine aus Martinique stammende Frau lernte durch ihn Deutschland zu lieben, indem er ihr viele spannende Geschichten von seinen Treffen mit bekannten Politkern, Malern und Musikern erzählte. Gedichte von Rainer Maria Rilke interpretiere er so, dass sie vor Bewegung den Tränen nah sei. Auf ihr Bedauern, dass er seine Memoiren nicht geschrieben habe, erwiderte er: „Wir haben ja noch ein paar Jahre.“ Ihr Traum vom eigenen Körperkunst-Kulturzentrum platzte aufgrund ihrer Gutgläubigkeit und hinterließ finanzielle Probleme, doch sie kämpft darum, dass er in seinem Haus bleiben darf. Am liebsten würde er nochmal nach Norwegen reisen und einen weiteren Wunsch hat das Geburtstagskind, er möchte einen Elefant streicheln und den versucht ihm seine Frau zu erfüllen, gemäß der Aussage die er in ihr Armband gravieren ließ: „Die Liebe überwindet alles.“ |
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